PERSPEKTIVE
Wie mit der neuen Zolllandschaft und den Folgen umgehen?
5 Minuten Lesezeit
9 April 2025
PERSPEKTIVE
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9 April 2025
Am 2. April stellte Präsident Trump das bisher größte und umfassendste Zollpaket seiner zweiten Amtszeit vor. Es beinhaltete zusätzliche Zölle in Höhe von 10 Prozent auf importierte Waren aus allen Ländern, die am 5. April in Kraft traten, sowie höhere, individuelle „reziproke“ Zölle von bis zu 50 Prozent auf Importe aus 57 Ländern, darunter China, Japan und EU-Staaten. Letztere traten ursprünglich am 9. April in Kraft, wurden aber seitdem für 90 Tage für alle Länder außer China ausgesetzt. China erhöhte im Gegenzug seine Zölle auf US-Importe auf 125 Prozent. Der allgemeine Mindestzollsatz von 10 Prozent für alle Handelspartner der USA bleibt aber weiter bestehen.
Die derzeitigen reziproken Zölle – und die 90-tägige Pause – gelten nicht für Kanada und Mexiko, da diese Länder mit einem separaten Zoll von 25 Prozent auf Waren belegt sind, die nicht dem Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada (USMCA) entsprechen, und auch nicht für im Ausland hergestellte Autos, Stahl und Aluminium, die ebenfalls einem separaten Zoll von 25 Prozent unterliegen.
Mit diesen Entwicklungen ist der durchschnittliche handelsgewichtete oder effektive Zollsatz auf Warenimporte in die USA auf etwa 29 Prozent gestiegen – der höchste Stand seit Anfang 1900. Ende 2024 lag er noch bei 2,4 Prozent.
Ebenso nennenswert wie die große Veränderung der Zölle selbst ist aber auch die beispiellose Unsicherheit, die durch die Höhe und die ständigen Änderungen der selbigen entsteht. Die einzige Gewissheit ist, dass sich Führungskräfte darauf konzentrieren sollten, resilientere Strukturen zu schaffen, um in diesem historisch volatilen Umfeld zurechtzukommen.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des neuen US-Zollregimes dürften immens sein. In den USA sind die Risiken einer Rezession erheblich gestiegen. Und wie wird sich das neue US-Zollregime auf die Weltwirtschaft auswirken? Wie unten dargestellt, ist Asien besonders stark von höheren Zöllen betroffen, aber auch die EU muss mit einem enormen Anstieg rechnen.
Ein weiterer Faktor, der die globalen Auswirkungen bestimmen wird, ist das Ausmaß, in dem andere Länder Gegenmaßnahmen ergreifen und ihre eigenen Zölle erhöhen. Bislang haben nur Kanada und China Vergeltungszölle gegen die USA verhängt. Die EU hat ihre Absicht bekundet, neue Zölle zu erheben, diese aber als Reaktion auf die 90-tägige Pause von Präsident Trump vorerst auf Eis gelegt.
Die Entscheidung, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen, wird von den erwarteten Kosten und positiven Auswirkungen beeinflusst. Die nachstehende Abbildung veranschaulicht drei wichtige Variablen, die die Reaktionen der betroffenen Länder beeinflussen können:
Das Zusammenspiel dieser Variablen könnte zu mindestens drei breit angelegten zukünftigen Zollszenarien führen. Angesichts des hohen Maßes an Ungewissheit und der häufigen Änderungen in der US-Handelspolitik in den letzten Wochen sollten diese als exemplarische Orientierungspunkte entlang eines Kontinuums möglicher Entwicklungen betrachtet werden.
Im ersten Szenario werden für die meisten Länder gegenseitige Zollsenkungen sowie mögliche Ausnahmen von einigen der produktspezifischen Zölle ausgehandelt.
Der erste Schritt dieses Prozesses ist mit der Aussetzung der höheren reziproken Zölle am 9. April bereits vollzogen. In diesem Szenario könnte sich die US-Regierung aus zwei wesentlichen Gründen für die Beibehaltung des Mindestzollsatzes von 10 Pro entscheiden: (1) um eine gewisse Unterstützung für die Ziele der Regierung in Bezug auf Reindustrialisierung und Steuereinnahmen aufrechtzuerhalten; und (2) um die Möglichkeiten der Zollumgehung durch Güterumschlag und andere Methoden einzuschränken, ein Aspekt, den die Regierung stets mit Sorge betrachtet hat. Unsere Analyse zeigt, dass dieses Szenario den effektiven Zollsatz der USA auf 15–17 Prozent senken könnte (im Vergleich zu den derzeitigen geschätzten 29 Prozent).
In diesem Szenario könnten bestimmte Handelspartner von den USA Zollsenkungen erhalten, wenn sie besonders große Zugeständnisse machen.
Aber für die meisten anderen werden die angedrohten höheren reziproken Zölle letztendlich wieder eingeführt. Dies könnte das Ergebnis eines harten Verhandlungsansatzes der USA und einer hohen Messlatte für die Gewährung von Zollerleichterungen sein. Auch könnte dies eine erneute Priorisierung der Reindustrialisierung als wichtigstes strategisches Ziel der USA widerspiegeln sowie die Überzeugung, dass dieses Ziel nur dann erreicht werden kann, wenn letztlich höhere Zölle eingeführt und über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden. Um die Reindustrialisierung und die nationale Sicherheit zu unterstützen, würden in diesem Szenario außerdem zusätzliche Zölle auf Produktebene (z. B. auf Halbleiter und Pharmazeutika) eingeführt. Insgesamt würde der effektive US-Zollsatz damit bei circa 30 Prozent liegen.
Im dritten Szenario würden gescheiterte Verhandlungen und/oder erhebliche Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder die Zölle in die Höhe treiben, und der Handelskrieg könnte sich ausweiten und Beschränkungen für grenzüberschreitende Dienstleistungen, Technologie und Investitionen umfassen.
Dies könnte dazu führen, dass der effektive US-Zollsatz auf über 40 Prozent steigt und auch die Zölle, die andere Länder gegenüber den USA erheben, erheblich und in großem Umfang erhöht werden.
Um auf schnelllebige Veränderungen zu reagieren, sollten sich Unternehmen darauf konzentrieren, ihre Resilienz zu stärken, um sich in diesem Umfeld zurechtzufinden. Die entsprechenden Maßnahmen sollten gleichzeitig eine wettbewerbsfähigere, profitable Gegenwart sowie Zukunft ermöglichen.
Die Stärkung der Unternehmensresilienz beginnt mit einem genauen Verständnis des Risikospektrums, mit dem das Unternehmen konfrontiert ist – sowohl unmittelbar als auch langfristig. Angesichts der zunehmenden Fragmentierung der Wirtschaft und der steigenden Rezessionsrisiken sollten sich Führungskräfte die Frage stellen: Wie haben sich die kurz- und langfristigen Aussichten verändert, und wie könnte sich dies auf unsere Performance in den einzelnen Geschäftsbereichen auswirken?
So muss beispielsweise eine Szenarioplanung auf Unternehmensebene eingebettet werden, die sowohl die Auswirkungen auf den Umsatz als auch auf den Gewinn berücksichtigt. Ziel ist es, nicht mehr nur auf Veränderungen zu reagieren, sondern sich proaktiv auf grundlegende Änderungen der Nachfrage, der finanziellen Bedingungen und des globalen Handels vorzubereiten.
Die Resilienz von Unternehmen basiert auf vier Säulen:
Angesichts der Auswirkungen von Zöllen und Versorgungsengpässen auf die globalen Netzwerke wird der Zwiespalt zwischen kurzfristigem Management und längerfristigen Kapitalinvestitionen immer deutlicher. Die Unternehmen sollten daher überdenken, wie sie ihre Kostenstrukturen, Netzwerke und Logistik sowie Lieferantenbeziehungen und Beschaffungsstrategien verwalten und Prioritäten beim Kapitaleinsatz setzen, um Rentabilität, Cashflow und Rendite des investierten Kapitals zu erreichen. In diesem Umfeld bedeutet operative Resilienz Agilität und das entschlossene Streben nach Produktivitätssteigerung.
Bei steigenden Kosten und unvorhersehbarer Nachfrage stehen Unternehmen vor einer schwierigen Gratwanderung: Sie müssen ihre Margen schützen, ohne ihre Kund:innen zu verlieren. Da die Preissensibilität zunimmt, müssen Unternehmen wissen, welche Kosten realistisch weitergegeben werden können und wo ein Mehrwert geschaffen oder verstärkt werden muss. Der Aufbau wirtschaftlicher Resilienz beinhaltet nicht nur den Schutz von Margen, sondern auch intelligentes Wachstum – selbst in schwierigen Zeiten. Da sich Werte und Normen schnell verschieben, sollten Unternehmen sicherstellen, dass ihre Innovations- und Marketinginvestitionen auf neu entstehende Chancen ausgerichtet sind. Erfolg hängt von der Fähigkeit ab, sich ändernde Kundenprioritäten zu antizipieren und Ressourcen strategisch auf die Segmente und Angebote umzuverteilen, in denen künftiges Wachstum und Rentabilität am wahrscheinlichsten sind.
Das Herzstück eines resilienten Unternehmens sind die Mitarbeitenden. Doch die Sorgen der Mitarbeitenden in Bezug auf Themen wie Inflation, unsichere Arbeitsplätze und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt stellen eine Herausforderung für die Arbeitsmoral und die Bindung dar. Unternehmen müssen auch die Auswirkungen von Reindustrialisierung, Reshoring und Umstrukturierung auf die Belegschaft planen und ihre Mitarbeitenden entsprechend unterstützen.
Geopolitische Risiken, Handelskonflikte und der Mangel an Fachkräften setzen die technologische Infrastruktur von Unternehmen unter neuen Druck. Daher ist das Streben nach dynamischer Anpassungsfähigkeit bei der Förderung technologischer Resilienz heute ebenso wichtig wie das Streben nach Zuverlässigkeit: Können Unternehmenssysteme den Schutz von Margen unterstützen? Können sie unter Belastung sicher skalieren? KI sollte bei diesem Wandel eine zentrale Rolle spielen – nicht nur durch Automatisierung, sondern auch durch den gezielten Einsatz von Technologie und Talenten im Hinblick auf die wichtigsten Chancen und Risiken, denen ein Unternehmen gegenübersteht. Dies erfordert funktionsübergreifende Teams, um KI-Fähigkeiten mit strategischen Prioritäten abzustimmen. Das reicht von der Anpassung von Logistik- und Beschaffungsstrategien als Reaktion auf Handelsverschiebungen bis hin zur Optimierung von Preisgestaltung und Personaleinsatz in Echtzeit.
Group Chief Executive – Strategy
Managing Director – Strategy & Consulting, Energy
Global Products Industry Practices Chair
Chief Corporate & Government Affairs Officer
Managing Director Global Lead – Macro Foresight Accenture Strategy
Principal Director – Accenture Strategy, Macro Foresight North America Lead